Dr. Klaus Batz I LeibRaum. Übungen für den Betrachter
Das Sehen von Bildern ist notwendig ein Wechselspiel von Sichtbarem und Gesehenem; das aktuell Sichtbare erlebt der Betrachter immer im Zusammenhang mit seinen bewahrten Bildern. Seine ästhetischen Erfahrungen gründen sich bei jedem dieser Sehakte neu in einer Einheit von Sinnlichkeit und Reflexion als den beiden Bedingungen des Vergegenwärtigens von Bildern. Indem er ein Bild betrachtet, holt der Betrachtende Bilder seiner eigenen Vergangenheit in die Gegenwart.
In den Arbeiten Waldemar Bachmeiers beruht die beschriebene synergetische Verbindung auf der sinnlichen Wahrnehmung als Voraussetzung reflexiver Werkbeachtung. Diese bezeichnet den Akt, der dem des Sehens folgen muss:
Ein Akt des Ein- und Zuordnens, des Vergleichens der gespeicherten und konventionalisierten Bilder mit den Werken. Im Begriff Reflexion ist der Reflex enthalten – ein Widerschein des Unbewussten, im Duden definiert als „unwillkürliches Ansprechen auf einen Reiz“, also eine Re-Aktion, bei der zu fragen bleibt, wodurch dieses „Nach-Denken über ...“ veranlasst wird und wie es vom Bild selbst gesteuert wird. Reflexion muss nicht ausschließlich auf ordnende Wiedererkennung zielen. „Stets organisieren wir unsere Sinnlichkeit auf Sinnperspektiven hin, wobei diese nicht begriffliche Rationalität einschließen müssen. Alle diese Aspekte lassen die These als wohlbegründet erscheinen, dass schon unterhalb der Schwelle begrifflicher Diskursivität synthetische Strukturen auftauchen, welche unserem Leib geschuldet sind“ 1)
– gerade die Irritation, das Nicht-Konventionelle eines Kunstwerks ermöglicht uns eine Überprüfung und Gewahrung unserer sinn-lichen Erkenntnisfähigkeit und gleichzeitig das Erleben eines sinnlichen Vergnügens.
Jede Betrachtung eines Kunstwerkes erfordert es, das Werk tatsächlich wahrzunehmen 2); es wahr zu nehmen: „Einmal zugestanden, die Kunst sei das Ins-Werk-Bringen der Wahrheit und Wahrheit bedeute die Unverborgenheit des Seins, muss dann nicht im Werk der bildenden Kunst auch der wahre Raum, das, was sein Eigenstes entbirgt, maßgebend werden?“ 3) Leib und Raum bezeichnen das Befinden des Betrachters – ein Sich Befinden (zu sich selbst wie zum Werk) und das Befinden in ..., da der „leere“ Raum durch das Kunstwerk zum bestimmbaren Ort werden kann.
Wenn ein Kunstwerk zwar nicht auf das Bildhafte, aber auf das Abbildhafte, auf die mimetische Beschreibung der Wirklichkeit verzichtet, dann werden unweigerlich die Bedingungen seiner Existenz zu seinem Thema. Dies gilt auch für die Zeichnungen und „Wandstücke“ Waldemar Bachmeiers, die es dem Betrachter im Dialog mit ihnen ermöglichen, sich einen Ort zu schaffen, der zum Ort einer geschärften Wahrnehmung werden kann.
Schon die Zeichnungen, eigentlich entstanden als modelli der Wandstücke, sind durch ihre be-greifbare Gestaltung der Oberfläche und den Verzicht auf einen gestischen Duktus keine konventionellen Zeichnungen mehr. Die großformatigen Arbeiten aus geformtem und stuckiertem Holz lassen sich mit den herkömmlichen Begriffen von Bild, Skulptur oder Installation nicht beschreiben, auch wenn sie vom traditionellen Tafelbild ausgehen. Ihre dreidimensionalen Formen verweigern sich meist dem 90-Grad-Winkel, drängen von der Wandfläche, ohne den Raum wirklich zu erobern. Kann man den Einsatz der Farben zur Gestaltung ihre Oberfläche noch als Malerei bezeichnen? Die einzigen Mittel einer malerischen Komposition sind der Kontrast gegeneinandergesetzter Farbflächen, die materielle Strukturierung der Oberfläche und eine „all over“ –Farbigkeit, die aber auf die Illusionierung räumlicher Tiefe oder emotionaler Bewegung verzichtet.
Diese Art der Infragestellung des Bildes hat in der Kunst des 20. Jahrhunderts seit Malewitsch eine eigene Tradition ausbilden können. Und dennoch erlebt der Betrachter bei jedem Werk von neuem jene Irritation, die ihn veranlassen soll, sich den visuellen und haptischen Reizen auszusetzen und damit seine Bereitschaft und Fähigkeit zur Wahrnehmung zu überprüfen. Die Werke Waldemar Bachmeiers bieten ihm dazu einen Ort. Erst durch die Wahrnehmung, Bewusstwerdung dieser dialogischen Situation von Bild und Betrachter erschließt sich ihr eigentlicher Inhalt. Die Form der Bilder ist lediglich das Medium dafür, die Werke aber werden eigentlich zu Exerzitien für den Künstler und für den Betrachter.
1) Heinz Paetzold: Ästhetik der neueren Moderne. Stuttgart 1990. S. 159
2) Eine Forderung, die dem aktuellen Ausstellungsbetrieb mit deinen inszenierten Déjá-vu-Erlebnissen entgegensteht
3) Martin Heidegger: Die Kunst und der Raum. L`art et l`espace. St. Gallen 1969. S. 8
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