Petra Weigle I Poesie und Askese I Kompromisslose Annäherung im Umgang mit Architektur
KLARE LUST I Drei Atelierportraits
Galerie der Stadt Sindelfingen – Lütze Museum 21. April – 16. Juni 1996
Die Thematik
Für den Neubau der Städtischen Galerie Sindelfingen entwarf der erfahrene Planer Josef Paul Kleihues ein lichtes Oktogon, das sich vom Hauptgebäude aus durch einen gläsernen Steg erschließt. Die gleichförmige geometrische Stahlkonstruktion wird im Inneren von weissen, fensterlosen Wänden, einem einnehmenden Treppenhaus und dem ausschließlich von oben einfallenden Licht dominiert.
Kleihues erklärtes Ziel dabei war, die Sinne für das Erleben von Räumen zu schärfen. Mit exakt dieser Vorgabe untersucht Bachmeier, insbesondere in seinem Schaffen der jüngeren Zeit, wie die Kunst der Architektur zur Maßgabe, zur Sprache werden könne.
Die nüchterne Klarheit und Präzision der vorgefundenen Raumsituation in Verbindung mit dem zugrunde liegenden Rastersystem der einzelnen Bauglieder war ausschlaggebend, der Wechselwirkung von Körpererfahrung und Raumerlebnis, nämlich dem Drinnensein, dem Draußensein, dem Hinein- und Hinaufgehen in den oktogonalen Bau – nachzuspüren und mit anhaltender Konsequenz künstlerisch zu antworten.
In der intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort und mit dem Aufgreifen des Rastersystems hat Bachmeier vier Arbeiten für vier Räume entstehen lassen, die sich freilich keineswegs als bloße Architekturzitate zu verstehen geben, sondern paradigmatische Eingriffe markieren.
Die Installation
Ausgangspunkt und Anregung für die Überlegungen war das Treppenhaus des Oktogons – ein Hohlzylinder, der im zweiten Obergeschoß als Brüstung endet – und der durch das Austrittspodest entstandene Ausschnitt aus diesem Zylinderring.
Waldemar Bachmeier hat das Volumen bzw. die Entsprechung dieser Aussparung in bogenförmige Segmente geteilt und so den fehlenden Rauminhalt konkret umgesetzt. Entstanden ist eine Raumkonzeption von segmentierten Volumen in der Fläche, in Kreisformen montiert, die die gesamte Wandfläche besetzten ohne sie auszufüllen. Wo sich Kreissegment, Wand und Raumform zusammenfinden, gleichzeitig aber funktionale Bezüge zueinander vermeiden, führen sie die „Merkwürdigkeit“ und Besonderheit ihrer Kombination vor.
Das mathematisch präzise Spiel mit Kombinationsmöglichkeiten der Formen und Flächen findet im ersten Obergeschoß des Kerngebäudes der Galerie seine Fortsetzung. Dort nämlich plaziert der Künstler, - und zwar exakt in der Achse des Treppenaufganges des Oktogons zum Ausstellungsraum im Kerngebäude – den zweiten Teil der Installation. Vier Hohlkörper und vier Wandstücke ergeben die Volumenentsprechung der Brüstung des Treppenaufganges. Die vier geschwungenen und wuchtig wirkenden Hohlkörper lagern als Ensemble auf dem Boden im Raum und leugnen trotz Ihrer zum Teil gespachtelten Oberfläche ihren Holzcharakter nicht. Die farbigen Wandstücke sind direkt an die Wand gebracht und greifen das Thema Fläche im Raum wieder auf.
Die Teilstücke korrespondieren durch Ihre Form und bilden zusammen eine sich ergänzende aber dennoch gegensätzliche Einheit von besonderer sinnlicher Schönheit. An dieser Stelle zeigt sich, dass Bachmeier im Verhältnis zur Skulptur Poet und Asket zugleich ist. Denn die sinnliche Materialwirkung seiner rein formalen Skulpturen und Objekte, gibt Ihnen Persönlichkeit und Charakter. Die Körper, die aus dem Wechselspiel von Beleuchtung und Schatten ihr Gewicht und ihre Masse zur Anschauung bringen. Die Flächen, die sich durch besondere Bearbeitung der Oberflächen mit eingefärbtem Fliesenkleber von der Umgebung abheben.
Die unterschiedlichen Erscheinungsformen ein und desselben Rauminhalts in Bezug auf die Architektur vorzuführen ist auch Anliegen der beiden anderen Arbeiten. Vor die Wand gesetzt, waagrecht und wie Lamellen montiert, zeigen die Glasscheiben ein Licht und Schattensspiel, das an zeitgenössische Fassadenarchitektur erinnert und die gläserne Wand zur Membran zwischen Innen und Außen macht. Die fünfteilige Entsprechung aus Gehwegplatten schafft ein materiales Gegengewicht zur leichten Formulierung und greift zugleich wieder das Thema Fläche und Volumen auf.
Auch in der vierteiligen Arbeit im Nebenraum – zwei Zylinderformen und zwei Ringformen, Form und Gegenform, ein Zitat der Bullaugen ähnlichen Fenster im Hauptgebäude, - schwingt der analytische und rationale Blick für ernste Schönheit nachvollziehbar mit. Es ist dieser Schwebezustand zwischen Volumen und Fläche, zwischen Raum und Ebene, zwischen materieller Schwere und Leichtigkeit, der den Künstler wie den Betrachter gleichermaßen fasziniert.
Errechnete Proportionsverhältnisse verschieben sich zu visueller Klarheit, denn die vier Arbeiten für die Städtische Galerie in Sindelfingen sind skulpturelle Installationen, die sich einmal mit den räumlichen Gegebenheiten auseinander-setzen, sie wie immer dagewesen aufnehmen, integrieren und doch auf bestimmte Raummerkmale aufmerksam machen und sie neu erleben lassen.
„Einpaßstücke“ könnte eine mögliche Bezeichnung sein. So funktional fabriziert und spröde sie wirken, so wenig verraten sie über ihre Wirkungsweise. Und dem wach gewordenen Interesse des Betrachters gönnt der Künstler kein weiteres Indiz. Es bleibt die Form in der Fläche. Durch die Oberflächenbehandlung in ihrer Abstraktion noch gesteigert, werden die Objekte fast wie Architekturmodelle zu Skulpturen, die fern jeder konkreten Bedeutung erfahren werden können. Die Suggestion führt in die Sackgasse, auf das Verlangen nach Eindeutigkeit gibt es keine Antwort.
Die vier Arbeiten dieser Ausstellung verbindet ihr ruhiger Charakter und das zugehörige Merkmal zur räumlich geschlossenen Situation. Insbesondere die Arbeit im Oktogon, die sich der großen Dimension verschrieben hat konkretisiert Raumerfahrung in ein frei fließendes Kontinuum.
Der Künstler stellt die Konstanten der Architektur zwar nicht unmittelbar auf den Kopf, aber durchaus zur Diskussion. Was dabei geschieht ist die Auflösung eingeübter Muster der Betrachtung, diese werden gesprengt und transformiert in neue Ansätze der Anschauung.
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Petra Weigle I Waldemar Bachmeier
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